Es ist so leicht. Es tut so gut. Es fördert, wie Experten versichern, sogar Gesundheit und Intelligenz. Warum nur haben dann so viele Deutsche die Lust am Singen verloren? Höchste Zeit, dass sie es wieder lernen, sagen Musiker und Pädagogen. Und zeigen Wege, wie der Zauber des Gesangs aufs Neue Teil unseres Alltags werden kann
Es geht um Leidenschaften in dieser Geschichte. Um Verführung, Magie, Sehnsucht, Rausch, Lebenshunger und den Traum vom besseren Menschen. Keine Angst, ich will Sie nicht missionieren. Aber ich fände es schade, wenn Sie beim Lesen dieses Textes stumm und unbeteiligt auf dem Sofa sitzen blieben. Vertrauen Sie mir und nehmen Sie teil an einem Experiment. Richten Sie sich zunächst auf und atmen Sie ein paarmal tief durch. Lassen Sie beim Ausatmen die Luft hörbar ausströmen: Ffffft! Sssssssst! Schschschschscht! Lockern Sie Lippen und Kiefer durch entspanntes Mahlen und Prusten: Mmmmmmmm! PRRRRRRRRRR!
Singen hat mit Zaubern zu tun
Und nun: Singen Sie! Das erstbeste Lied, das Ihnen in den Sinn kommt. Deutsch, Englisch, Schlager, Volkslied, Hiphop oder Kirchenchoral - es ist gleichgültig, was Sie anstimmen. Notfalls improvisieren Sie auf lalala. Und falls Sie Ihre Stimme nicht zu zaghaft einsetzen oder gleich nach der zweiten Zeile verstummen, dann werden Sie merken, dass etwas mit Ihnen passiert. Singen hat mit Zaubern zu tun. Wenn Sie gerade eben vorsorglich Fenster und Türen geschlossen haben, dann war das nur konsequent: Lieder können machtvolle Waffen sein, mit denen man Feinde lähmen, Geister rufen oder vertreiben, Regen machen, ganze Welten neu erschaffen kann. Selbst wenn Sie das mit "Blowin’ in the wind" nicht unbedingt im Sinn hatten: Sie werden spüren, dass Ihr Gesang Wirkung zeigt. Wenn nicht auf Ihre Zuhörer, dann zumindest auf Sie selbst.
Die entscheidenden Veränderungen spielen sich in Ihrem Kopf ab. Vorn, in der Stirnregion, wird das Belohnungssystem aktiviert; weiter im Innern, in den Basalganglien, wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet - eine Substanz, die unter anderem Gedächtnisprozesse und die soziale Bindungsfähigkeit beeinflusst. Gleichzeitig senkt Ihr Gesang die Konzentration jener Hormone, die Sie aggressiver und stressanfälliger machen: Testosteron und Cortisol. All das geschieht kurzfristig; Sie werden die Wirkung schon nach wenigen Liedstrophen verspüren, zusammen mit einem leichten Rausch, den die durchs tiefere Einatmen erhöhte Kohlendioxid-Konzentration in Ihrem Blut auslöst.
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